Donnerstag, 7. August 2014

Leseprobe

Irgendwann kommt man an einen Punkt, da meint man die Welt zu kennen, auch wenn man nur einen Bruchteil dieser gesehen hat. Wie sich das als Mensch anfühlt beschreibt dieses Büchlein. Hier eine Leseprobe. Interessenten sende ich das gerne zu.



Froschklatschen, Sternreparierer, Heimat und so

ein Tagebuch im Zeitraffer für Dich...

Andreas markiert die Stelle am Garagentor, die zur Zielscheibe werden soll und schwingt sich auf sein Moped. Mit aufstiebendem Sand wendet er wenige Meter entfernt und ruft uns zu: "Wer will zuerst?" Irgendwie ist den anderen Jungs nicht ganz klar, was er meint. Andreas wendet erneut, dieses mal im Abstand von vielleicht fünf Metern vor dem Garagentor, die Hinterräder jagen den Sand durch die Luft. "Los, anheben!" ruft Andreas und sein Bruder Michael und Thomas greifen den Gepäckträger um das Moped anzuheben. "Nimm dir einen von den Fröschen!", brüllt Andreas zu einem der nahestehenden Jungen. "Lass ihn auf den Hinterreifen fallen, wenn ich sage - Jetzt!" schreit er gegen den Lärm. Der Frosch fliegt ziemlich genau unter das Welldach, weit entfernt vom Zielkreuz. Mit jedem weiteren "Schuss" nähert sich einer der winzigen Frösche dem Ziel. Ekel befällt mich, obgleich ich weiß, dass ich beim Heimweg im Dunkeln mindestens die doppelte Menge dieser zurzeit in Massen umher hüpfenden Viecher zerlatschen werde. Mit Gebrüll wird gerade ein Treffer im Zielkreuz bejubelt, nicht dass ich ihnen diesen Erfolg nicht gönnen würde, aber irgendwie ist mir dieses Spiel einfach zu doof. Vielleicht bin ich für diesen Quatsch schon zu alt. Deswegen will ich euch erzählen, warum mir ausgerechnet dieser Tag und das Froschklatschen eingefallen sind. Damals war ich vierzehn und es war das Jahr in dem die Fußballweltmeisterschaft stattfand. Die Republik stand in voller Blüte wie man so sagt. Nein ehrlich, es war Frühling und unserer großen Familie ging es richtig gut.

Ich will dich warnen, was ich dir hier zu erzählen habe, ist nicht das was du erwartest. Ich bin kein Grüner oder so. Ich liebe Technik und ich liebe die Natur, beide werden uns eines Tages vielleicht das Leben retten. Das einzige was ich wirklich hasse, sind Waffen und Atomkraft. Atomkraft wird diese Welt hier irgendwann auch ohne unser Zutun zerstören. Das gleiche kann die Natur auch so und zwar auf vielerlei Art. Zum Beispiel aus dem All. Wenn du wissen willst, warum ich dir dieses ganze Zeug hier aufgeschrieben habe, solltest du weiterlesen. Es ist meine Geschichte, die in vielem auch deine ist oder sein wird. Geschichten von Träumen und Ängsten, von Liebe, Freude und Trauer gleichen sich immer irgendwie. Ich möchte, dass du dich darin wiederfindest.



Irgendwann im Frühsommer stöbere ich eines nachmittags, nachdem ich die Zeitungen der Woche auf den Dachboden in unserem Wohnblock geschafft habe, zwischen Büchern und alten Zeitungen und finde versteckt unter einem Segeltuch das zu Vaters untergegangenem Boot gehört, einen hellgrün gebundenen, verstaubten, aber sichtlich unbenutzten Wälzer in deutscher Sprache, auf dem einfach nur Stalin stand. Leseprobe. Keine Ahnung was das soll. Lauter Reden, Auszüge aus Büchern und so. Ich nehme das Buch mit und frage meinen Vater wieso dieses Buch ungelesen auf dem Dachboden umher liegt. Mein Vater legt mit umständlichen Erklärungen los und deutet an, dass Stalin auch was mit unserer Familie zu tun hat. Was er damit gemeint hat, sollte ich mir von meiner Mutter erklären lassen. Gut, ich frage meine Mutter, was Stalin mit unserer Familie zu tun hat. Nur zu eurem Verständnis, meine Mutter ist Russin, geboren in Alexandrowsk auf Sachalin. Immer wenn wir Kinder mit neugierigen Augen gefragt haben wo das liegt, holte mein Vater den alten Atlas raus und wir sahen, dass diese Insel am anderen Ende der Welt lag. Da spielt die Frage, wie Mutter nach Deutschland bzw. in die DDR kam, eher eine untergeordnete Rolle.



Mutter schaut meinen Vater an und sagt ihm irgendetwas in Russisch, was ich leider damals noch nicht verstand, mein Vater sagt darauf auch in Russisch noch etwas, was länger dauert, was mir aber wegen meiner nicht so perfekten Russischkenntnisse leider auch verschlossen blieb. Jedenfalls holt meine Mutter plötzlich aus dem Schlafzimmer einen großen grauen Schuhkarton, den ich schon kenne, denn darin werden die Erinnerungsfotos aufbewahrt. Die Kiste kommt nur zu besonderen Anlässen aus dem Schlafzimmer, sonst ist sie so versteckt, dass keiner unbefugt darin herumstöbern kann. Mutter holt aus der Kiste einige dutzend Bilder und scheint nach etwas Bestimmten zu suchen. Dann hält sie mir Bilder hin, die ihren Vater und ihre Mutter zeigen. Mutter als Baby und Mutter im Kindergarten. Auf dem Kindergartenbild stehen und hocken streng blickende Jungen und Mädchen mit Schleifchen im Haar, alle mit Schiffchenmütze hinter einem Holzmaschinengewehr. Ich glaube, ich muß lachen, weil das sicher bedrohlich und verteidigungsbereit aussehen soll, durch die Schleifchen aber eher absurd wirkt. Meine Mutter hat Tränen in den Augen, als sie zu erzählen anfängt. Ihr Vater wurde kurz nach ihrer Geburt 1938 als angeblicher deutscher Spion denunziert und verschwand in einem der vielen Gulags in Sibirien. Ihre Mutter, eine bekannte und mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin in Russland und mir später nur unter dem Namen "Babuschka Ada" bekannt, wurde ebenfalls verbannt und so wuchs Mutter bei einer von den russischen Behörden ausgewählten Amme auf, die sie zeitlebens Babuschka Betia nannte. Viele Jahre hörte sie nichts mehr von ihrer Mutter, die Verbannung bestand noch Anfang der 70-iger Jahre, mit der Folge, dass meine Mutter bei einem Besuch ihrer Schwester, die in Moskau lebte, selbst nicht die Stadt verlassen durfte, hingegen ihre Mutter, heimlich nach Moskau einreiste, so dass beide sich 1972 nach 34 Jahren wiedersahen. Ihre Mutter hat Anfang der 90-iger Jahre über die Geschichte ihrer persönlichen Verfolgung und das Schicksal ihres Mannes ein kleines Buch geschrieben, dass ich euch gerne zugänglich machen möchte. Leider wünscht meine Mutter nicht, dass die Geschichte dieser einen von unzähligen Verfolgungen während der Stalin-Zeit in die deutsche Sprache übersetzt wird. Ich vermute wegen der vielen chronologischen Fehler, die sie aus Unkenntnis der persönlichen Daten ihrer Tochter und von deren Familie in diesem Buch eingebaut hatte, selbst meine Mutter konnte es nicht lassen, diese Eintragungen in dem Buch handschriftlich zu korrigieren. Vielleicht schaffe ich es noch, sie einmal zu überreden, dieses Buch in die deutsche Sprache zu übersetzen. Soviel zum Froschklatschen. Und 1972 war auch das Jahr in dem ich meinen ersten eigenen Kosmonauten geschenkt bekam, als meine Eltern aus Moskau wieder zurück kamen. Der Kosmonaut war Apfelsinenfarben auf dem Helm stand in roter Schrift auf weißem Grund CCCP und tauchen konnte er, so dass er bei jedem Bad mit in die Wanne musste. Irgendwann funktioniert dann die Luftpumpe nicht mehr, so dass ich ihn im See in die Unendlichkeit schicke.



Der Dachboden wird wochenlang mein Tor zur Zeit. Zunächst in die Vergangenheit. Ich finde Zeitungen mit Balkengroßen Überschriften wie "Wer erschoss Reinhold Huhn?" und arbeite mich seitenweise in die Vergangenheit. Gagarin ist dabei und immer wieder Zeitungen mit erschossenen Grenzsoldaten. Manches lese ich komplett durch ohne zu verstehen, was dieser Chrustschov eigentlich will. Später werde ich verstehen um was es in den seitenlangen Reden geht. Kurz vor dem Mauerbau ist Schluss mit dem Weg in die Vergangenheit. Was war davor, verdammt noch mal. Keine Zeitung früher als April ´61. Schade.



1963. Die Fenstertüren sind verschlossen. Ich kann nicht raus, der Griff ist zu hoch. Bettgestelle so hoch wie Leiterwagen. Ich bin allein in dem Zimmer mit mindestens hundert Betten. Die Frau schaut mich streng an und fragt, warum ich nicht auf die Toilette gegangen bin. Unter meinem Bett ist eine Pfütze. Vor Heulen und Schreien kriege ich kaum Luft. Meine Eltern sind für zwei Wochen in die Sowjetunion und haben mich im Kinderheim B. abgegeben. Ich kenne niemand und will auch niemand kennen. Ich schreie nur. Solange bis die Frau genervt in Moskau anruft. Ich erkenne auch meine Tante nicht, die mit meiner jüngeren Schwester zu Hause geblieben ist und einen Tag später in der Tür steht. Ich will nicht mitgehen mit der fremden Frau und schreie. Meine Eltern sind nach drei Tagen wieder zu Hause. Ich glaube, ich habe vom Heulen noch tagelang den Schluckauf. Mich trösten auch nicht die Geschenke die aus dem fremden Land kommen, das daran schuld ist, dass ich ins Heim musste.


Bildunterschrift des Originals: "Meine Tochter Sweta Volkmar, ihr Gatte Eberhard und Kinder" aus Ada Germanowna Gontscharowskaja, Memoiren, Verlag "Sejan", Polen, Bild von 1963

Von links nach rechts hinten: Meine Mutter Swetlana Volkmar, meine Schwester Eva-Maria (Freitod 1978), mein Vater Eberhard Volkmar (gest. 2002), vorne rechts meine Schwester Kathrin Lopez-Guevarra, geb.Volkmar und ich. Aufnahme entstand in der Wohnung am Wasserwerk in Storkow/Mark, das Wohnhaus steht heute noch und zwar genau hier. Also fast im Wald. 


Im Winter 1964/65 wohnen wir am Wasserwerk in K. Der Schnee liegt mindestens soooo hoch, ich kann nicht über die seitlich an den Straßen aufgetürmten Schneeberge sehen. Vater baut meiner Schwester und mir ein großes Schneehaus, in das er abends beim Rückwärtsparken seinen Kübelwagen setzt. Wir sind traurig. Da noch genug vom Schnee da ist, bauen wir Kinder eine Schneetonne, auf deren Grund sich der Matsch sammelt. Es hat zu tauen angefangen. Ich habe die Kehrschaufel in der Hand und lasse begeistert eine Ladung Matsch nach der anderen durch die Luft sausen und an die Hauswand klatschen. Ich komme immer besser in Fahrt und schaffe es fast bis zum Erdgeschoss, mit aller Kraft will ich höher. Dazu muß ich näher heran gehen an die Hauswand. Ja, geschafft, die Flugbahn geht genau in Höhe Erdgeschoßfenster des Nachbarn, der in diesem Augenblick vom Lärm gestört, sein Küchenfenster öffnet. Oh nein, ich will noch wegrennen, meine Schwester hält mich fest und hilft mir schließlich beim Entschuldigen und Saubermachen. Der Nachbar ist freundlich und grinst immerzu. Hinterher lachen wir, bis uns der Bauch weh tut.



In unserem Kinderzimmer steht ein Klavier an der Wand. Mutter spielt manchmal. Smetana, Chopin, Robert Schumann und so. Heute nicht. Heute wird "Der Wolf und die sieben Geißlein" gespielt. Jedenfalls von mir. Die sieben Geißlein sind Matroschkas und Indianer, die ich unter dem Tisch direkt neben dem Heizkörper versteckt habe. Der Wolf bin ich. Meine große Schwester will nicht mitspielen. Sie spielt lieber Kosmonaut und hat mit ihrem Sprungseil Versorgungsschläuche zwischen Schranktüren und Tisch gelegt, damit sie im All was zum Essen und zum Atmen hat. Gerade verschwindet sie wieder in ihrer Raumkapsel, also im Schrank. Also gehe ich, der Wolf, mit raumgreifenden Schritten auf das Versteck der sieben Geißlein zu und rufe: "... und da kam der Wolf mit gaaanz großen Schritten." Weil ich die Versorgungsleitung der Raumkapsel übersehe, lande ich mit dem Kopf genau am Heizkörper, der so hässliche Rippen hat, dass er mir eine tiefe Abschürfung am Kopf reißt, auf der bis heute kein Haar wächst. Ich werde geklammert, am Kopf meine ich. Danach sind Märchen nicht mehr so mein Fall, ich spiele lieber mit meiner Schwester, als gegen sie. Der bleibende haarlose Fleck am Kopf wird später zum Lieblingsthema der Frisöre, ich soll kreisrunden Haarausfall haben und das schon seit über vierzig Jahren. Soviel Haare kann ich gar nicht haben. Als Trost erzähle ich immer die Geschichte vom Wolf und den sieben Geißlein.



1965 Wir ziehen wieder einmal um. Es ist ein neuer Block in der Fontanestraße in S. Die Schule ist gleich vom Fenster aus zu sehen, anfangs auch der See. Viele Kinder wohnen mit uns. Wir spielen viel und lernen uns so kennen. Im Sommer geht es barfuß an den See, es gibt noch keine befestigten Straßen. Nur Sand. Sand soweit das Auge reicht. Die Landschaft sieht so ganz anders aus als am Wasserwerk im Wald. Steppengräser, die Büschel bilden und sehr weit fliegen, wenn man sie durch die Luft wirft. Wenn du getroffen wirst, hast du zwei Tage lang Sand im Ohr und im Mund. Ein kleines Karussell kommt zur Brache. Menschen mit bronzefarbener Haut und sehr alten Autos, die ein kaum verständliches Deutsch reden, lassen uns stundenlang und für wenig Geld kreiseln. Wir dürfen die Ponys streicheln und füttern. In diesem Herbst wird die Brache fast bis zur Schule zum ersten und letzten mal bestellt.



Mutter und Vater wollen mit Freunden nach Berlin ins Theater und schärfen mir ein, dass ich meiner Schwester ein Stück Zucker geben soll, wenn sie auf dem Boden liegt. Das passiert auch kurz bevor ich ins Bett gehe, der Sandmann ist gerade vorbei. Ich heule und versuche mit dem Löffel, die Zuckerwürfel kann ich vor Angst nicht finden, meiner wie leblos da liegenden Schwester Zucker in den Mund zu schieben. Es geht nicht, ich reiße die Tür auf und heule und schreie so laut ich kann ins Treppenhaus. Der Vater von Constanze G. ist zum Glück Arzt und kennt sich aus, so dass ich mich nach kurzer Zeit wieder beruhige. Meine Eltern erklären mir am Tag darauf, dass dieses Ereignis ein Schock war. Ich beginne zu begreifen, was die Zuckerkrankheit für meine Schwester bedeutet. Sie wird viele Jahre an sich arbeiten um so leben zu können wie wir.



Wenn ich mal groß bin werde ich segeln, mit einem hellblauen Boot mit weißem Deck, so wie mein Vater früher. Oft stehen wir am Ufer und sehen bei Regatta-Fahrten zu, manchmal stundenlang. An einem sonnigen Augusttag, die Schuleinführung steht unmittelbar bevor, kommt mein Vater ins Kinderzimmer und zitiert wild mit den Händen gestikulierend das Fischergedicht von Morgenstern. Es muß schon spät am Vormittag sein, meine Schwestern sind nicht mehr im Zimmer. Auf einmal merke ich, dass ich meinen Vater nicht mehr höre. Es ist absolute Stille um mich herum, nicht einmal die eigene Stimme ist zu hören. Das war vielleicht merkwürdig. Sofort schaffen mich meine Eltern zum Ohrenarzt, der schließlich eine Mittelohr-Entzündung feststellt. Zum Glück bessert sich die Hörfähigkeit kurze Zeit später etwas, so dass ich meine Zuckertüte noch rechtzeitig in Empfang nehmen kann. Das war wichtig.





Eva-Maria,  1978  Freitod,  meine Mutter und ich 1964 auf dem Storkower See

Übrigens, dass mit dem Segler werden, hat sich schon an meinem ersten Schultag erledigt, mein Vater kam auf die Idee, anlässlich meiner Schuleinführung bei schönstem Septemberwetter eine kleine Segelfahrt zu unternehmen, ich soll natürlich zur Feier des Tages mit meinem hellblauen Anzug den ersten Schritt aufs Boot tun, das tat ich auch, jedoch bewegt sich das Boot gerade in diesem Augenblick ungefähr hundert Meter vom Bootssteg weg, so dass ich voll daneben trete. Bis über die Ohren im Wasser treibe ich zwischen Boot und Steg und plansche um mein Leben, wenn ich jetzt nur wüsste wo oben ist. Irgendwie hält mich dann der kräftige Griff meines Vaters davon ab weiter Purzelbäume im Wasser zu schlagen, weil schwimmen konnte ich damals noch nicht.



In Dreierreihe gehen wir über den Schulhof im Kreis. Kein Wort wird gesprochen. Aus den Fenstern des Neubaublocks wenige Meter von uns entfernt schauen verdutzte Eltern auf das was sich dort auf dem Schulhof tut. Im Zentrum des Kreises stehen zwei aufsichtsführende Lehrer und blicken aufmerksam besonders in Richtung der Neuner und Zehner. Dort wird vereinzelt noch gequatscht. Sofort wird einer der Lehrer aktiv und ermahnt uns alle zur Ruhe. Das Klingelzeichen ertönt, wir sind erlöst. In den Minuten bis zum Klassenraum bricht es aus vielen Schülern heraus wie ein Wasserfall, was war geschehen? In unserem Ort hat es in der Kaserne der NVA Offiziere und Soldaten gegeben, die sich geweigert haben mit Panzern in Richtung Tschechoslowakei zu fahren um den Frieden zu retten. In einer Zeitung war eine böse Schlange abgebildet, die von einem Bajonett in Schach gehalten wurde. Ein paar Tage später blieben in unserer Klasse drei Plätze frei. Drei Jungen fehlten und kamen nicht wieder, weil die Eltern wohl weggezogen waren oder strafversetzt wurden. Der Frieden war wieder da und wir brauchten auch nicht mehr über den Hof zu kreiseln. Nur einmal noch versuchte unsere Musiklehrerin, weil keiner richtig mit der Blockflöte spielen konnte, uns wie beim Rattenfänger von Hameln über den Hof marschieren zu lassen. Wir spielten so falsch wie es ohne richtige Übung möglich war. Der Schuldirektor erlöst uns schließlich von diesem Schauspiel. Ich glaube diese Lehrerin wurde in eine Nervenklinik eingewiesen. Sie kam erst viele Jahre später wieder in unseren Heimatort zurück und hat, so weit ich mich erinnere, nie wieder Flöten - Unterricht an einer Schule gegeben.



Wir schreiben ein Diktat. Ich schreibe "Die große rübe" und habe genau wie Constanze G. eine drei. Wir beschließen abzuhauen und laufen durch die Siedlung, bis wir an die Gleise kommen, wo der Zug in Richtung Polen und Berlin fährt. Wir schlagen auf den Gleisen den Weg in Richtung Berlin ein. Ein freundlicher Mann auf dem Fahrrad, der meinen Vater kennt, bittet uns von Gleisen herunter zu sich, er bleibt in ziemlich großem Abstand von uns stehen. Aufgelöst kommen uns unsere Eltern entgegen. Wir beichten alles und werden schnell Freunde. Wir wechseln uns ab, wer zu wem spielen kommt. Und feiern Geburtstag zusammen. Sie wird lange meine Freundin bleiben bis ihre Eltern nach Berlin ziehen. Zu meinem Geburtstag ist Tante Elfriede da. Und es gibt meinen Lieblingskuchen. Quarktorte mit vieeeel Rosinen drin. Der Kuchen wartet auf dem Tisch. Ich auch. Ein kleines kreisrundes Loch in Mitte bearbeite ich so, dass es ein klein wenig runder wird. Meine große Schwester hilft mir ein bisschen dabei. Als sie aus dem Zimmer ist, lege ich den Radius etwas größer an. Sieht jetzt gut aus, Platz für eine Kerze ist auch noch. Mutter und Tante Elfriede sind wenig begeistert. Wir schieben uns die Schuld gegenseitig zu, ich sage empört zu meiner Schwester: "Ich bin doch nicht dein Sklave!" weil ich die Kaffeelöffel holen und auf den Tisch legen soll. Mario M. und ich laufen um den Wohnblock und singen. "Links, links, links, um die Ecke stinkt’s, hat der Hauptmann hingeschissen, hat vergessen wegzuwischen". Unsere Klassenlehrerin beschwert sich bei meinen Eltern über die frechen Lieder. Ich schlafe in der Deutschstunde ein und weiß nicht, wo wir gerade lesen als ich geweckt werde. Die Fünf weckt mich schließlich vollständig auf. Also soll ich zur Strafe bei der Klassenlehrerin zu Hause auf ein Tonband lesen. Sie staunt, dass ich doch lesen kann und ist wieder beruhigt.



Ich brauche mir nicht mehr alle zwei Wochen die Haare schneiden, nachdem ich durch Berechnung herausgefunden habe, dass ich, wenn ich die fünfzig Pfennig für den Fassonschnitt mit Scheitel einspare, im Jahr ungefähr zwölf bis dreizehn Mark zusammensparen kann. Deshalb gehe ich ins Bad vor den Spiegel und kämme mir mit viel Wasser und Spucke den Fassonschnitt selbst. Das Dumme ist nur, ich vergaß, dass zufällig genau an dem Dienstag, an dem ich zum Frisör gehen soll, mein Vater auch auf die Idee kommt, sich einen Termin beim Frisör geben zu lassen, mit fatalen Folgen für mich. "Warst Du beim Frisör?" "Ja, sieht man doch", lüge ich tapfer und nichts ahnend. Mein Vater grinst übers ganze Gesicht und meint, "Hat, aber wenig abgeschnitten, dieses Mal." Ich will gerade auf ein anderes Thema ausweichen, als er mich kräftig am Arm packt und mir tief in die Augen schaut. "Lüg mich nicht an!" Ich glaube, ich werde ungefähr soooo rot an den Ohren und im Gesicht. Schnell rechne ich mir aus, wie viel Verlust ich mache, wenn ich nur noch alle vier Wochen zum Frisör gehen muß und schlage ihm vor, dass ich genau dieses ab heute machen werde, wenn er mir nur erlaubt, dass ich die fünfzig Pfennig behalten darf. Von diesem Tag an gibt es Taschengeld, nicht regelmäßig, aber so, dass es immer mal für Lakritzstangen, Kino oder eine Brause reicht. Das ist in unserer kinderreichen Familie schon etwas Besonderes. Bei dieser einen Lüge komme ich noch gut davon, was mich nicht abhält später ein zweites Mal zu lügen, ich glaube da geht es um etwas Bedeutenderes, so was wie Macht glaube ich. Diesen Machtkampf nimmt schließlich mein Vater zum Anlass zum Riemen zu greifen. Er ist eben stärker. Und hat Macht.



Anna K. kommt in unsere Schulklasse. Sie ist aus Polen und spricht kein Wort Deutsch. Sie spricht überhaupt nicht. Heult nur. Ich erzähle meiner Mutter davon und sie kommt am nächsten Tag mit in die Schule. In Russisch kann sie sich mit Anna unterhalten und erklärt uns wo sie herkommt. Anna ist ein fröhliches Mädchen, sie kann Fußball spielen und kommt mit allen gut zurecht. Und dann war Witja plötzlich da. Witja heißt eigentlich Viktor. Er spricht schnell ein für uns gut verständliches Deutsch und lehrt mich unnachgiebig zu sein. Er latscht mir so lange auf die Füße, bis ich aufgebe. Wir verbringen sehr viel Zeit zusammen und entdecken im Schlafzimmer seiner Eltern ein Mitbringsel seines Vaters aus Dänemark. Witjas Vater ist wie meiner Geologe und war bei einem Kongress. Auf dem Faltheftchen sind Frauen die sich mit Möhren und Maiskolben befriedigen, wir können uns vor Lachen kaum aufrecht halten und beschließen niemand etwas davon zu erzählen. Witjas Vater heißt für meine Schwestern und mich bald Onkel Wassja, seine Mutter Tante Lydia. Onkel Wassja arbeitet mit meinem Vater an einem wichtigen Projekt, was es ist, erfahren wir nie. Stundenlang verbringen beide Familien zusammen. Manchmal geht es Angeln oder Baden, oder nach Berlin zu Clown Ferdinand und so. Mutter und Tante Lydia reden stundenlang in Russisch, wovon wir nichts verstehen. Am besten ist Witjas Hund Tschatscha. Wenn wir "Koschka" (Russisch: Katze) rufen wird aus dem mit dem Bauch schleifenden Hund einer Rasse, die ich noch nie gesehen habe, plötzlich ein gefährliches rasendes Geschoss, dass in alle Richtungen gleichzeitig zu fliegen scheint. Meistens kriegt er die Katzen nicht, dafür hat er einfach zu krumme Beine, die sind so krumm, das er beim Laufen auf der Treppe mit dem Bauch schleift und dort bald kein Fell mehr hat. Dafür frisst er auf dem Balkon, als wir ihn nicht rechtzeitig auf die Straße bringen seine eigene Scheiße auf. Wir ekeln uns so, dass er zur Strafe gleich von uns auf dem Balkon eingeschlossen wird. "Tschatscha, Koschka!" rufen wir lachend. Er dreht sich wie wild als wollte er sich in den Schwanz beißen. Witja bringt aus der Schule in F. eine große Patronenhülse und einen Aufnäher der Roten Armee mit. Für uns Anlass wieder einmal Krieg zu spielen. Witja will wie immer der Anführer sein, obwohl er ein ganzes Jahr jünger ist als ich, schon wieder gebe ich nach, wie immer. Wir erobern wie verrückt. Erst nur Kleingärten, bald auch die Lauben. Eine sieht so leer aus, dass ich im Eroberungsdrang mit dem Ellbogen die Scheibe einschlage, hier hatten wir schon mal gespielt, da stand aber die Tür noch offen und in den ansonsten leeren Schubfächern waren Patronenhülsen. Ich sehe mir meinen Ellbogen an, der Anorak ist durchgeschnitten und blutig. Was wird Mutter dazu sagen. Witja lacht. Hauptsache gewonnen. Es tut nicht weh. Ich gehe erst nach Hause, als es schon sehr dunkel ist. Das nützt dem Anorak und meinem Hintern wenig. In diesem Winter haben wir roten Schnee mit Schollen, ehrlich, ungefähr fünf Zentimeter dick ist der neugefallene auf dem alten Schnee, er ist von rötlicher Farbe und er liegt gleichmäßig fest. Man kann sich leichtmachen und darüber laufen ohne einzubrechen. Man kann aber auch mit den Schollen so werfen, dass es weh tut und das machen wir meist. Nur Schneemänner lassen sich damit nicht bauen.



Meinen ersten Architektenwettbewerb gewinne ich 1969 bei der MMM, ihr wisst schon, Messe der Meister von Morgen war das. Ich habe aus Papier, Pappe und Kitty-Fix und mit vielen Buntstiften und Erlendolden aus unserer kleinen Siedlung ein gewaltiges Neubaugebiet für mindestens zehntausend Leute gebastelt. So richtig mit Hochhäusern, bei denen man unten durchgehen kann, mit Ladenzonen und so, genauso wie sie heutzutage in jeder größeren Stadt der Welt als Ghetto verunglimpft werden. Am meisten bin ich auf die mindestens zwanzig Geschosse hohen Wohnhäuser stolz. Da kann Berlin sich mindestens eine Scheibe abschneiden, was ja dann auch so kam. Ich weiß gar nicht mehr was ich dafür als Preis bekommen habe. Es kann nicht bedeutsam gewesen sein, sonst wüsste ich es noch. Vielleicht war es das Frösi-Abo. Na gut, Zwanzig-Geschosser wurden bei uns nie gebaut, aber sechs Geschosse hoch waren die neuen Blöcke dann doch. Und es waren mehr, als ich auf meinem Plan hatte, vielleicht müssen deswegen heutzutage so viele Wohnblöcke abgerissen werden, weil den Leuten dort oben schlecht geworden ist beim Blick in die Tiefe. Mir ging es jedenfalls so, als ich das erste Mal in Berlin von einem Zwanzig-Geschosser in die Tiefe gesehen habe. Olaf und sein Bruder Michael hatten uns eingeladen. Beide gehörten zu den Jungen, die aus unserer Klasse verschwanden, weil die Eltern sich nicht einigen konnten, ob sie mit dem Panzer nach Prag fahren sollen um den Frieden zu retten oder nicht. Und irgendwie bekam mein Vater in diesem Jahr auch eine wunderschöne Postkarte von einem Peter aus Italien. "Saluti da Superga" (Superga in Italien) stand darauf und man sah durch ein Rosentor in eine fast unwirklich schön scheinende sonnige Gartenwelt an deren anderem Ende eine Art Kirche stand. Dieser Peter hat es in meinen Augen gut, auch wenn bei uns die Sonne schön wie nie schien, so schön schien sie nie. Mein Vater hat mir erklärt, dass dieser Peter beim diplomatischen Korps - gesprochen wie Chor - arbeitet, von da an will ich auch Diplomat sein. Weil aber in diesem Jahr mit dem Bau einer neuen Klärgrube für die mittlerweile drei Wohnblöcke begonnen wird, entschließe ich mich mit vielen Nachbarkindern lieber in der Baugrube zu spielen, das war glaube ich die Zeit in der ich lieber Bauarbeiter werden will. Im beginnenden Winter des Jahres 1969 war die dünne Eisdecke in der Grube der ideale Spielplatz, da wir wussten, dass nur wenig Grundwasser unter uns sein konnte. Umso schöner war die Überraschung, als wir feststellten, dass man in dem märkischen Sand so tief versinken konnte, dass einem die Brühe in die Stiefel lief. Ich glaube nicht, das ich davon krank wurde, jedenfalls bekomme ich kurz hintereinander die Masern und eine ziemlich heftige Angina. Das einzige was mir davon in Erinnerung bleibt ist der blaue Eimer, den ich beim Erbrechen zu treffen versuche. Ich bin mir sicher, in jenem Jahr hat der Teppich in unserem Kinderzimmer am meisten gelitten, zumal meine Schwestern kurz danach ebenfalls flach lagen.



Kennt ihr Sternreparierer? Das sind die Leute, die wie das Sandmännchen auf dem Mond landen oder durch die großen Rohre in die Sterne schauen, genau das wollte ich auch immer machen wenn ich mal groß bin, deshalb hatte ich mir schon mit vier Jahren fest vorgenommen Sternreparierer zu werden. Ganz wichtig war, dass man sich mit Mondgestein auskennen musste, deshalb habe ich frühzeitig angefangen jeden seltsam erscheinenden Stein aufzuheben. Einmal war sogar ein Stück glänzende Hühnerkacke dabei. Meine Mutter war begeistert. Als ich neun war, beschloss ich wie Alfons Zitterbacke mit dem Training für die Reise zu den Sternen zu beginnen, also erst mal viel Sport treiben, dann Karusellfahren, gute Noten in der Schule und so. Das mit der Zahnpasta habe ich dann sein lassen, weil die Putzi so süß war, das einem schon nach fünf Zentimetern davon schlecht wurde.



Und dann die Überraschung. Meine Eltern gucken Westfernsehen. Mondlandung. Das kann doch nicht sein, dass die Amerikaner nach Vietnam auch noch den Mond besetzen! In der Schule malen wir Bilder - "Solidarität mit Vietnam!" und was machen die Amerikaner? Sie besetzen den Mond. Danach wollte ich lieber jeden Monat was anderes werden, Architekt zum Beispiel, oder Ruderer, oder Angler, Zehnkämpfer und so.



Meine Eltern legen fest, dass ich zur Kur muß und diese wird mir verschrieben. Ich habe in dem Jahr vorher schon fast zweihundert Tage lang nicht mehr die Schule von innen gesehen, immer war ich irgendwie krank. Ich soll nach Graal - Müritz in das Sanatorium "Tannenhof". Für acht Wochen. Wenn ich schnell gesund und kräftig werde, darf ich früher nach Hause. Ich will schnell gesund und kräftig werden, also mache ich, was alle von mir wollen. In unserer Gruppe bin ich der zweitälteste. Ein kleiner Junge heißt German, er isst seinen Nachtisch nicht auf und heult genauso wie einige Wasserhähne im Waschraum. Wir drehen zum Mittagsschlaf genau diese auf und freuen uns, wenn die Erzieherinnen nacheinander den schlafenden German besuchen. Bei Höhensonne, Inhalieren, Sauna und Wassertreten vergessen wir nicht, das wir eigentlich alle etwas lernen müssen. Zwei Stunden Deutsch und zwei Stunden Mathe sind alles was uns geboten wird. Von dem bisschen werde ich schon wieder krank und es droht eine Verlängerung der Kur, das sagt mir eines Abends auch die Ärztin. Ich versuche schließlich schneller gesund zu werden. Ich merke bei meinem fieberhaften Versuch gesund zu werden nicht mal, dass es schon zwei Tage nach meinem Geburtstag ist, als alle für mich singen und ich ein Päckchen von zu Hause bekomme. 



Der Tag des Lehrers steht bevor, wenn ich früher heim will, soll ich Blumen rüber bringen zu den Erziehern. Dann kriege ich den Roten Wimpel und kann nach Hause. "Blaue Wimpel im Sommerwind, weh´n wo fröhliche Kinder sind", singen wir glücklich und treten im kalten Ostseewasser. Ich lerne Dominospielen bei den Großen. Ich spiele gerne mit ihnen. Der blaue Wimpel reicht nicht um nach Hause zu fahren. Keiner merkt, dass ich meinen Koffer schon gepackt habe. Wir sind viel im Wald und spielen Wildschweine jagen. Bis die wirklich kommen. Die wollen aber nichts von uns, sondern marschieren geradewegs auf den Sanatoriumshof. Dort liegt auch schon Futter für sie. Sie lassen uns in Ruhe. Mein Waschlappen ist plötzlich verschwunden. Ich gehe in die Wäscherei, eine freundliche Frau zeigt mir einen riesigen Berg mit mindestens tausend Waschlappen, Handtüchern, Hemden und Hemdchen, Hosen und Höschen. Mein Waschlappen ist nicht dabei. Weil alles frisch gewaschen ist, suche ich mir einen schönen Waschlappen aus, den meine Mutter später einfach nicht wiedererkennen will. Bei unserem einzigen Bad in der Ostsee verabschiedet sich auch meine schöne neue rosafarbene Badehose in den Wellen und ich muß von da an die blöde gestrickte Woll-Badehose beim Sonnen anziehen. Das kratzt vielleicht das Scheissding und schwitzen tut man darin auch.

Es hat Ärger gegeben, wir sollen unsere Zimmer immer schön aufräumen und so. Um meine Mutter zu versöhnen beschließe ich, meine jüngeren Schwestern alle zu wecken und den Frühstückstisch zu decken. Alle machen mit und helfen sich gegenseitig. Der Tee ist fertig. Nur noch staubsaugen. Das mache ich. Mutter kommt schimpfend und mit den Händen rudernd ins Zimmer und scheucht uns alle ins Bett. Es ist Sonntag früh um vier Uhr.

Wenn meine Mutter wütend ist sagt sie "Eberrrchaaarrrd!" zu meinem Vater, wenn er lieb und artig ist nennt sie ihn Eb oder Ebtschik. Wir lachen dann immer und wissen, das alles in Ordnung ist bei uns. Sie sagt selten "Eberrrchaaarrrd!", aber manchmal so laut und wütend, das die Schüssel, die sie dann wirft ein tiefes Loch im Linoleum hinterlässt. Vater soll seine Doktorarbeit endlich fertigmachen, stattdessen verschwindet er durch das Fenster des Arbeitszimmers an den See zum Angeln. Das Wetter ist gut, es ist schwül draußen, da beißen die Fische wie verrückt. Ich kann ihn verstehen und lasse mir vieeel Zeit, als ich ihn holen soll.

Hurra, ich darf ins Ferienlager. Das blaue Ferienheft ist schnell ausgefüllt. Es geht an den Blauen See nach. S. nicht weit von zu Hause, aber so weit, das man nicht allein nach Hause findet. Meine zweitälteste Schwester darf auch mit, wir sehen uns kaum. Jeder lebt für sich. Wir springen um die Wette mit verbundenen Augen nach Bockwürsten an der Leine. Ich glaube die Würstchen zu hören, weil ich immer gewinne. Zum Schluss bin ich so satt und müde, dass ich der erste beim Einschlafen bin. Der Pionierleiter Herr B. und seine vielen Helferinnen haben sich für uns soviel ausgedacht, dass wir gar nicht merken wie schnell die zwei Wochen vergehen. Er ist der Neptun beim Strandfest und wird später mal Direktor an unserer Schule. Ich will auch mal Pionierleiter werden, so viele Freundinnen wie der hat keiner. Der Sommer ist lang. Vater und ich gehen viel angeln. Am Langen See. Manchmal mit Schlafen auf dem großen Mannschaftsboot der NVA. Ich soll leise sein, wegen der Fische und den Seitenlinien die ihre Ohren sind. Ich fange Fische. Soooo viele. Nachts werde ich wach, mein Vater fängt immer noch. Zum Schulanfang schreiben wir einen Aufsatz. "Mein schönstes Ferienerlebnis" Ich schreibe vom Angeln. Mein letzter Satz lautet wohl so, "...Mein Vater fing einen Wels und dann fingen wir noch achtundzwanzig Hechte, dreißig Karpfen und vierzig Barsche." oder so ähnlich. Ich bekomme für diesen Aufsatz eine glatte eins in Ausdruck. Mein Vater erklärt mir was Anglerlatein heißt, es steht nämlich "Sehr gutes Anglerlatein!" unter dem Aufsatz. Ihr seht, ich kann schon mehr als eine Sprache.

...(Fortsetzung)

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